Innsbrucker Nachrichten 29.11.1912 : Vom Dache gestürzt.

Erschienen
Innsbrucker Nachrichten 29.11.1912, Seite 3
Titel
Innsbrucker Nachrichten 29.11.1912 : Vom Dache gestürzt.
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"(Vom Dache gestürzt.) Gestern nachmittag, nach 3 Uhr, ereignete sich beim Baue des neuen Gebäudes der Universitätsbibliothek am Innrain ein tödlicher Unglücksfall. Der beim hiesigen Dachdeckermeister Johann Bauer angestellte Gehilfe Johann Häusl hatte um diese Zeit aus dem vordersten Teile des Daches des Gebäudes zu tun. Er stand auf einem Gerüste, welches aus drei nebeneinandergelegten Balken bestand, neben ihm hing das Seil herab, welches Häusl zur Sicherung dienen sollte; der Unvorsichtige hatte dieses aber nicht benützt. Auf einmal stürzte Häusl rücklings über das Gerüst hinaus in die Tiefe, schlug zuerst auf dem Dache des ehemaligen Holzmesserhäuschens, das dort bis zur Vollendung des Baues steht, auf und stürzte dann zu Boden. Die Sturzhöhe dürfte 18 Meter betragen haben.

Die barmherzige Schwester Sekundia, welche vom gegenüberliegenden Gebäude des Zahlstockes unseres Spitales aus das Unglück mit angesehen hatte, eilte mit Verbandzeug an die Unglückstelle und leistete Häusl, der bewußtlos dalag, die erste Hilfe. Man brachte dann den Verunglückten auf einer Bahre in das nahe Spital, wo er aber kurz darauf starb. Ein Mitarbeiter Häusls, der Schieferdecker Christian Pichler, der etwa sechs Schritte von Häusl entfernt arbeitete, schilderte den Hergang des Unglücks folgendermaßen: Häusl arbeitete unangeseilt auf dem kleinen Gerüste, mit dem Rücken gegen die Straße gekehrt; in dieser Stellung wollte er einen Ziegel aus dem Innern des Hauses herausnehmen, da aber infolge der Kälte mehrere Ziegel fest aneinanderklebten, mußte Häusl besondere Kraft anwenden, um einen Ziegel zu erlangen. Bei dieser Anstrengung, so glaubt der Augenzeuge, ist Häusl auf dem durch den letzten Schneefall glatt und glitschig gewordenen Balken ausgeglitten und gestürzt. Das Seil konnte Häusl nicht erhaschen, sonst wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, den todbringenden Sturz zu vermeiden. Johann Häusl, ein braver, tüchtiger Arbeiter, war am 9. November 1876 in Klösterle in Böhmen geboren und ledigen Standes. Gestern nachmittag begab sich eine Gerichtskommission unter Leitung des Untersuchungsrichters Dr. Kirchler an Ort und Stelle, um den Tatbestand aufzunehmen."