Wintertourismus in Tirol

Die „alldeutschen“ Persönlichkeiten Franz Reisch und Josef Herold prägen den frühen Skitourismus in der Region Kitzbühel

Wie ein Stempel in einem Touristenführer zur Region Kitzbühel von 1903 nachweist, wurde bereits in einem 1897 gefassten Beschluss der General-Versammlung des lokalen Fremdenverkehrsverbandes fixiert: „Anfragen von Juden haben unberücksichtigt zu bleiben.“ (Seite [1] Kitzbühel in Tirol : klimatischer Höhenkurort, 1903). Verfasser des Werks ist Franz Reisch (1863-1920), der neben Josef Herold (1872-1938) eine der prägenden Persönlichkeiten im aufkommenden Wintertourismus der Region Kitzbühel und in der Kommerzialisierung des Tiroler Tourismus allgemein war. Um die enge Verbindung zwischen der nationalen bzw. „alldeutschen“ Gesinnung dieser beiden Männer, die auch jeweils Bürgermeister der Stadt Kitzbühel waren, und der Entwicklung des Skifahrens als Grundlage für den wirtschaftlich ertragreichen Wintertourismus in Tirol zu zeigen, werden die Personen Reisch und Herold im Folgenden anhand von historischen Zeitungsartikeln vorgestellt. Um den Bogen in Bezug auf den Ausschluss von Juden vom Kitzbüheler Fremdenverkehr Ende des 19. Jahrhunderts zu spannen, sei schon vorab erwähnt, dass zum Tod von Josef Herold 1938 die lokalen NSDAP-Vertreter ihre persönliche Anteilnahme aussprachen und der 1939 verstorbenen Witwe von Franz Reisch Ehrungen von Seiten der NSDAP zukamen. 

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Am 28. Jänner 1933 erscheint in den Kitzbüheler Nachrichten der Artikel „40 Jahre Skilauf in Kitzbühel“ und zeigt, wie sehr Franz Reisch und Josef Herold als enge Freunde das Skifahren in die Stadt Kitzbühel gebracht haben und es fortan für den lokalen Wintertourismus zu nutzen wussten. Der Artikel entwirft zunächst ein Sittenbild der Stadt Kitzbühel im Winterschlaf, die Saison für den Sommertourismus ist kurz, die Straßen seien im Winter wie leergefegt, einzig einige Kartenspielrunden treffen sich in den Wirtshäusern. Eine Ausnahme bilden jedoch die beiden Männer Reisch und Herold, so der Artikel, die sich mit dem Buch „Auf Skiern durch Grönland“ weiterbilden: „Franz Reisch der damals eine Konditorei und Wirtsstube innehatte, dem es aber von Zeit zu Zeit hinauszog in die weite Welt und der von kühner Abenteuerlust erfüllt war. Josef Herold der Fotograf, welcher zu den Belesensten des Ortes gehörte. Diese beiden waren überzeugt, daß solche Skibretter den langen Kitzbüheler Winter kurzweiliger gestalten könnten.“

Reisch besorgt dann das erste Paar Ski und lädt seinen Freund Herold ein, ihm bei der ersten Fahrt zuzusehen: „So beschloß Reisch, ein Paar dieser wunderlichen Hölzer aus Norwegen zu bestellen. Und als diese Ungetümer am Postamt anlangten, da schrieb Franz Reisch seinem Freunde Herold einen Zettel: ‚Wenn Du mich skiern sehen willst, so komme heute um 3 Uhr auf die Hinterbräuwiese.‘“ Im selben Winter teilen sich Reisch und Herold das eine Paar Ski, im kommenden Winter wird gleich eine größere Sendung aus Norwegen bestellt. In den folgenden Jahren tauscht man sich mit den Regionen Arlberg und Innsbruck aus, lädt Gäste aus Norwegen und England ein und verfeinert die Skifahrtechnik.

 

Ein weiterer Artikel in den Kitzbüheler Nachrichten vom 12. November 1938 fasst diese frühe Zeit zusammen: „Es war im Jahre 1895, als Franz Reisch, der mit Glücksgütern mehr bedachte Freund des jungen Sepp, aus Norwegen das erste Paar Schi nach Kitzbühel kommen ließ. Auf ihnen erlernte auch Sepp die Anfangsgründe des Schilaufes. Im nächsten Jahr war dann Sepp selbst Besitzer von Schiern, und nun fing die Entwicklung Kitzbühels als Wintersportplatz an. Die tatkräftigen jungen Männer gaben dem wintersportlichen Leben und Treiben in Kitzbühel einen gewaltigen Auftrieb, knüpften Verbindungen an mit den damaligen sportlichen Schrittmachern des In- und Auslandes und stellten auf diese Weise unseren Ort bereits zu einer Zeit, wo anderswo jeglicher Wintersport verlacht wurde, an die erste Stelle aller ostalpinen Sportplätze.“

 

Die Konstellation Reisch / Herold sticht in dieser Pionierzeit jedoch auch deswegen hervor, weil die beiden ihre Skitouren in einigen Publikationen veröffentlichten. Herold war gelernter Fotograf und Reisch steuerte die Texte bei: „Das besondere Verdienst Herolds an der Entwicklung Kitzbühels zum weltbekannten Wintersportplatz lag in seiner photographischen Leistung. Unverdrossen schleppte Herold bei jeder Schitour seine schwere Plattenkamera mit und war mit seinen auch für heutige Begriffe noch hervorragenden Winteraufnahmen der erste Künder der Kitzbüheler Schneelandschaft.“ (Kitzbüheler Nachrichten 12.11.1938) So finden sich auch in den Beständen der ULBT einige Werke, die entweder von Franz Reisch verfasst wurden (siehe oben bzw. Kitzbühel : Umgebung und Ausflüge, Franz Reisch ; herausgegeben von Hermann Reisch, 5. Auflage, 1929) oder Fotografien von Josef Herold enthalten (u.a. Winter in Kitzbühel, herausgegeben vom Verkehrsverein Kitzbühel, 1926).

 

Um die jeweilige Bedeutung von Franz Reisch und Josef Herold für die Region Kitzbühel zu zeigen wie auch auf ihre politische Gesinnung einzugehen, die vor allem bei Josef Herold in den Artikeln zu seinem Ableben im Jahr 1938 stark thematisiert wird, werden weitere Zeitungsartikel zu den beiden Persönlichkeiten zitiert.

 

Die Innsbrucker Nachrichten kommentieren am 8. Jänner 1920 den Tod des ehemaligen Kitzbüheler Bürgermeisters eher knapp: „An Franz Reisch verliert Kitzbühel einen seiner tüchtigsten Männer. Das Aufblühen der Gemeinde hatte er in seiner Stellung als Bürgermeister mit allen Kräften seines unternehmenden Geistes gefördert, namentlich verdankt Kitzbühel seine heutige Geltung als Mittelpunkt des Wintersports der Tatkraft seines Altbürgermeisters.“ Unter dem Titel „Ein Rückblick zum Ableben des Herrn Franz Reisch“ folgt am 18. Jänner 1920 in der Volkszeitung ein ausführlicher Nachruf: „Noch nie hat bisher ein Mann in Kitzbühel eine solche bauliche Umgestaltung in so kurzer Zeit ins Leben gerufen oder gefördert, das ganze Geschäftsleben in eine völlig geänderte Situation hinübergeführt, sich mit all seinem Können für ein Vorhaben derart eingesetzt. Sicher würde vieles anders dastehen, hätte Herr Reisch nie in unserer Mitte gelebt, aber ebenso sicher wären wir trotzdem in dieses Fahrwasser gelangt, denn in Kitzbühel drängten die Verhältnisse noch viel mehr als in anderen Ortschaften darauf hin, eine neue Erwerbsquelle ausfindig zu machen. Die Frage ist nur die, ob dieser Uebergang ohne die zielbewußte Führung dieses Mannes besser gelungen wäre.“

 

Verfasser des Artikels in der Volkszeitung dürfte Josef Herold gewesen sein. Die Initialen J. H. am Ende des Texts sowie folgender Kommentar – bezugnehmend auf Franz Reischs wechselndes Glück in seinen wirtschaftlichen Unternehmungen – weisen darauf hin: „Meinen Parteigenossen, die ihm mitunter auch seiner alldeutschen Allüren gram waren, möchte ich sagen: Wer nichts unternimmt, mag leicht der gute Mann sein, im Zahnrad unseres wirtschaftlichen Lebens verbleibt er aber eine Null ohne jede Bedeutung und nur im Kopfe des Toren ist der ein Mann, dessen Schaffen stets mit Erfolg gekrönt ist.“ Interessant ist dabei, dass Herold die „alldeutschen Allüren“ seines Freundes aufgreift. In der alldeutschen Einstellung, die in Bezug auf Franz Reisch (nach Stand der Recherche) nur an dieser Stelle zu finden ist, zeigt sich ein weiterer enger Bezug zu seinem Freund Herold. Im Nachruf zu Herold im Jahr 1938 wird ebenfalls auf dessen nationale politische Einstellung eingegangen: „Seine politische Einstellung, der er sein ganzes Leben hindurch treu geblieben ist, verdankte er seinem Vater, einem begeisterten Schönerianer.“ Laut Wikipedia wurde 1891 von Georg Schönerer die „alldeutsche Vereinigung“ gegründet, die mit der deutschnationalen Bewegung in Österreich gleichzusetzen ist. Zugleich wird die völkisch und antiklerikale Vereinigung mit dem politischen Rasseantisemitismus in Österreich-Ungarn in Zusammenhang gebracht.

 

Und auch die Innsbrucker Nachrichten kommentieren am 5. November 1938 das Lebenswerk von Josef Herold, der u. a. den Bau der Hahnenkammbahn in Kitzbühel initiierte, mit Bezugnahme auf seine ungebrochen nationale Einstellung: „Mit Josef H e r o l d ist ein kerndeutscher Tiroler, ein Mann von unbeugsamer nationaler Gesinnung hingeschieden. Schon vor Jahrzehnten hat Josef Herold im Verein mit dem bekannten Pionier des Fremdenverkehrs, Hotelier Reisch, als eifriger Photograph an der Erschließung Kitzbühels für den Wintersport mitgewirkt. Vor einem Jahrzehnt ist es seinem unermüdlichen Eifer gelungen, den Bau der Drahtseilbahn auf den Hahnenkamm nach Ueberwindung außerordentlicher Schwierigkeiten und Hemmungen durchzusetzen. Die Hahnenkammbahn, deren Präsident Josef Herold bis zu seinem Tode war, ist die einzige Seilbahn der Ostmark, die vom ersten Tag an aktiv betrieben wurde; die Vollendung ihres Ausbaues und die Wiederinbetriebsetzung, die für den 1. Dezember l. J. angesetzt ist, hat ihr Schöpfer nicht mehr erlebt.“

 

Die politisch einschlägige Haltung von Josef Herold zeigt sich zudem in der biografischen Schilderung in Bezug auf die Jahre 1933/34 in den Kitzbüheler Nachrichten vom 12. November 1938:  „Trotz seiner unermüdlichen, rastloser und uneigennützigen Tätigkeit im Interesse des Ortes und der Allgemeinheit, mußte er zufolge seiner nationalen Einstellung und Denkungsweise, dem Dollfuß-Starhemberg-System weichen. Die von der Regierung geforderte Taufe der Vorderstadt zum ‚Kanzler-Dollfußplatz‘ war der Anlaß seiner Enthebung vom Bürgermeisterposten am 3. August 1934.“ Die nach dem Anschluss von Österreich an Hitler-Deutschland gleichgeschalteten Kitzbüheler Nachrichten ergänzen: „Der Zusammenbruch des österreichischen Systems und der Anschluß der Ostmark an das Großdeutsche Reich erfüllte ein langes Sehnen unseres Schönerianers Sepp Herold und mit Freudentränen in den Augen verkündete er dies bei seiner Rede am Stadtplatz dem Staatsminister Wagner.“

 

Noch deutlicher wird die Nähe zur neuen NS-Führung in Österreich – wie zu Beginn erwähnt – in den Kommentaren zu Beileidsbekundungen von lokalen NSDAP-Funktionären zum Tod von Josef Herold 1938. So schreibt die Deutsche Volkszeitung am 5. November 1938, Seite 11: „Mit Herold verliert Kitzbühel einen seiner verdientesten Bürger, der schon in der schweren Systemzeit ebenso wie jetzt in selbstloser Weise der Stadt Kitzbühel vorgestanden hat. Die Verdienste Herolds wurden auch gewürdigt durch den Besuch des Gauleiters Hofer, der in Begleitung des Stableiters der SA im Sanatorium erschien und der Familie Herold im Namen des Gaues zum Ableben des Bürgermeisters sein Beileid aussprach. Der Gauleiter wies dabei auf die großen Verdienste Herolds für Volk, Heimat und Heimatstadt hin.“

 

Entsprechend liest sich auch die Passage zur politischen Einstellung von Marie Reisch – seit 1920 verwitwet nach Franz Reisch – in den Kitzbüheler Nachrichten vom 27. Mai 1939: „Die sattsam bekannten Ereignisse der Jahre 1933 und 1934 haben dieser schwerkranken Flau herbste Prüfungen auferlegt; die Söhne im Gefängnis oder Konzentrationslager oder geflüchtet, Hab und Gut beschlagnahmt, die Häuser umstellt und durchsucht, Systemlinge in allen Winkeln. Bezeichnend für die Einstellung dieser Leute war, daß einmal nur durch das Eingreifen eines beherzten Gendarmeriebeamten vor der Durchsuchung des Krankenzimmers dieser Frau Halt gemacht wurde. Und trotz aller Demütigungen, aller Not und allen Leides hat Frau Reisch nicht verzagt; das Bildnis Adolf Hitlers in der Krankenstube hat auch ihr immer wieder neue Kraft, neue Hoffnung und neuen Glauben gegeben. Sie hat die bessere Zeit, den Wiederaufstieg Deutschlands und die Vereinigung Oesterreichs mit dem Reich in voller geistiger Frische miterlebt und mitempfunden und mit Freuden das Abzeichen der NSDAP in Empfang genommen. Sie hat auch mit wehmütig freudigem Lächeln davon Kenntnis genommen, daß sie das silberne Mutterkreuz, vom Führer gestiftet, in Empfang nehmen wird. Leider konnte sie dies nicht mehr erleben.“

 

Um auf den Stempel – bezugnehmend auf eine Versammlung des lokalen Fremdenverkehrsverbands von 1897 – zurück zu kommen, spannt sich hier ein Bogen von nationaler bis unverstellt antisemitischer Einstellung von führenden Verbänden des Tiroler Tourismus, der den verklärten Blick auf traumhafte Tage der Skipioniere trübt. Wenn auch mit zwei Personen nur exemplarisch eine Parallele von politischer Haltung und der Entwicklung Tirols zu einer der weltweit führenden Regionen im Ski- und Wintertourismus gezeigt werden kann, bleibt doch ein mehr als bitterer Beigeschmack. So schön die Bilder der verschneiten Berge und ersten Skitouren auch sind, wird eine zweite Ebene in der Österreichischen Geschichte deutlich, die im späten 19. Jahrhundert beginnt und im NS-Regime – namentlich im Holocaust – ihren Ausgang nimmt. Mit dem Wissen der Rückblickenden relativiert sich somit der Blick auf die idyllisch verschneiten Berge der Vergangenheit.