Reimmichl

„Sebastian Rieger — Wenn ich diesen Namen nenne, so wissen Wohl literarische Kreise, wer darunter gemeint ist; wo aber das Pseudonym ‚Reimmichl‘ genannt wird, da geht ein Atmen der Freude landein, landaus und bergauf, bergab; denn jedes Bauernbübl in Tirol kennt ihn und liebt ihn — den Volksbotenmann, der immer so schöne Geschichten weiß. Wohl kein Schriftsteller Oesterreichs — Rosegger ausgenommen — ist so bekannt, ist Tausenden und Abertausenden ein so vertrauter und unentbehrlicher Freund geworden, wie unser ‚Reimmichl‘ recte Sebastian Rieger — der Volksbotenmann: denn er ist Volksschriftsteller in des Wortes tiefster Bedeutung.“


Bruder Willram in Der Arbeiter, 6. Juli 1916, Seite 3

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„Was kennzeichnet denn einen wahren Volksschriftsteller? Die einfache, populäre, prunklose, anschauliche Sprache? Oder der derbe Dialekt, die möglichst treu wiedergegebene Mundart des Volkes mit besonderer Berücksichtigung seiner Provinzialismen und Kraftausdrücke? Oder die mit Argusaugen beobachteten Volksbräuche und Volkssitten, die dann — sorgfältig katalogisiert und registriert — als Aeußerungen der Volksseele hinausposaunt werden? Wie viele stehen heute auf dem Piedestal sogenannter Volksschriftsteller und werden von einer gewissen Presse als literarische Größen gefeiert, die vom Volke, das sie durch und durch zu kennen vorgeben, nur die Außenseite abgelauscht haben, während ihnen die eigentlicheVolksseele, das tiefste Empfinden, das Innentum des Volkes, stets unbekanntes Land geblieben ist! Und nur einer, der unter diesem Volke aufgewachsen, der von Jugend an mit diesem Volke weinen und lachen gelernt, der den Geruch der Heimatscholle — sich wie ein heiliges Erbstück allen Modetorheiten und allem Klimmbimm des Fortschritts zum Trotz bewahrt hat, weiß, wie viele faustdicke Lügen und wie viel himmelhoher Unsinn über Volkstum und Volksseele von einer gewissen Sorte von sogenannten Volksschriftstellern nicht selten verfrachtet wird.

 

[...] Wir aber möchten in diesen Zeilen auf eine andere Goldgrube Hinweisen, auf die Schriften unseres lieben Reimmichl. Ursprünglich als kleine oder größere Erzählungen im ‚Tiroler Volksboten‘ erschienen, liegen sie jetzt in sechs stattlichen Büchern vor uns — nicht alle gleichwertig zwar ihrem literarischen Gehalte nach, aber alle ohne Ausnahme frische, gesunde Volkskost — ein wahrer Gesundbrunnen für Geist und Gemüt. Was ein Menschenherz bewegt in Dur oder Moll; was an Lust und Leid, an Frohsinn und Trübsinn, an Humor und Heiterkeit sowohl wie an Schwerblütigkeit, Verdüsterung und Melancholie in der Volksseele schlummert; ungebundene, wildaufschäumende Volkskraft und Leidenschaft und wieder zarte, unantastbare, unberührte, verträumte Kindlichkeit und Reinheit; Sturm und Windstille, Liebe und Haß, Zorn und Rache auf der einen und vergebendes, versöhnendes, entsagendes, aufopferndes, duldendes Wirken und Streben auf der anderen Seite — all die Kontraste und Konflikte des Lebens — immer aber umleuchtet vom Lichte einer erhabenen Weltanschauung, immer durchsonnt oder durchwärmt von den Strahlen des Glaubens, immer — bei aller Tragik — in den mildverklärenden Hauch christlicher Auffassung getaucht — alles, alles kommt in diesen Büchern zum Ausdruck. Dem Rieger-Reimmichl wohnen zwei Seelen in der Brust; — die eine ist lustig und fidel, tragt den Schalk im Auge und das Lachen des Humors um die Lippen, schwingt oft genug die Schellenkappe und macht Purzelbäume und Hofnarrensprünge in einer Weise, daß man oft genug um sein Zwerchfell fürchten muß; die andere ist versonnen und zart und versponnen und verträumt wie eine Sommerwiese oder eine Waldlichtung in Mittagszeit, voll heimlichen Klingens und Singens und Summens und Brummens; voll stillen, friedlichen Glockengeläutes, das — weiß Gott woher — aus blauen, ungekannten Fernen tönt; voll weher Lust und wonnigen Leids, voll Heimweh und ungestillter Sehnsucht, voll Inbrunst und Andacht und Märchentiefe; die eine seiner beiden Seelen ist ein toller, launiger Versifex und reizender Reimschmied, die andere eine ernste, stille Dichterin voll Weihe und Schönheit.“

 

Bruder Willram in Der Arbeiter, 6. Juli 1916, Seite 3