Paul Lincke

Paul Lincke wurde 1866 in Berlin geboren und konnte schon in jungen Jahren als Musiker und Komponist Erfolge feiern. So heißt es in einem Nachruf aus den Oberösterreichische Nachrichten vom 12. September 1946 (S. 2) über ihn: „Mit 19 Jahren schrieb er seine ersten Erfolgsnummern. Kaum 21 geworden, dirigierte er schon sein eigenes Orchester. ‚Unser Paule‘, wie ihn die Berliner nannten, komponierte Walzer und Märsche, wie ‚Das ist Berliner Luft‘, ‚Schlösser, die im Monde liegen‘, ‚Es war einmal‘ usw., die Gemeingut der Straße wurden. Seine Operetten, die er mit Vorliebe nach exotischen oder parodistischen Stoffen komponierte, erzielten endlose Aufführungsserien in dem durch ihn berühmt gewordenen Apollotheater. ‚Im Reiche des Indra‘, ‚Grigri‘, ‚Lysistrata‘, ‚Venus auf Erden‘ und ‚Frau Luna‘ […] wurden die bekanntesten.“

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Lincke gilt als „Vater“ der Berliner Operette, die gerne der sogenannten Wiener Operette gegenübergestellt wurde. Die Neue Zeit schreibt so am 13. September 1946 (S. 2) in einem Nachruf trotz des traurigen Anlasses nicht besonders freundlich über den Komponisten: „Damit haben wir den größten Interpreten von Berliner Luft und Berliner Mentalität auf dem Gebiete der Operette verloren. Mit Recht wird er der Berliner Lehar genannt – damit sei aber auch gesagt, daß uns die charakteristische ‚Berliner leichte Muse‘ der Jahrhundertwende (dieses Lustigsein um jeden Preis) ferner liegen muß als die von altösterreichischer Operettenklassik her empfundene lebensfrohe Musik Lehars, Wiener Fröhlichkeit ist Charme, Elegance mit einem kleinen Schuß von ‚Schlamperei‘, die unsere Nachbarn nicht verstehen können (das haben sie uns zur Genüge bewiesen). Dieser geistige Gehalt bestimmt die Linckesche Musik ebenso wie eine mehr vom Aeußerlichen herkommende Technik der Komposition und Instrumentation. Dadurch wirkt seine Musik letzten Endes ‚linkisch‘, wenn sie auch allen sich in dieser Atmosphäre heimische fühlenden Menschen Stunden der Freude bereiten konnte. Immerhin – er war ein Meister seines Faches und seine einschmeichelnden Melodien werden sich weiter und mit Recht ihrer Beliebtheit erfreuen.“

 

Ein Artikel in Der neue Tag vom 08. November 1936 (S. 2) anlässlich Linckes 70. Geburtstages zeigt allerdings, wie bekannt und beliebt Lincke in Berlin war: „Paul Lincke schon siebzig Jahre? Der populärste Komponist Berlins / Paul Lincke ist nicht nur der Name eines Komponisten, sondern auch ein Begriff, ja sogar ein Inbegriff für heitere Berliner Musik. Sie ist nicht so graziös und leichtbeschwingt wie die Wiener, dafür ist sie etwas rhythmischer, um nicht zu sagen ‚preußischer‘, denn sie arbeitet mit Trompeten und Schlagzeug. Deshalb kann man auch besser nach ihr marschieren als tanzen. Aber beliebt ist sie auf jeden Fall, sehr populär sogar, und heute noch in Flor und Glanz. […] Berliner Luft umgab ihn sein ganzes Leben. Er hat sie in sich ausgenommen und in Musik umgesetzt, und mit dem berühmten Marschlied ‚Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft‘ hat er den Berliner gewissermaßen die Nationalhymne geschenkt, die sogar im Rundfunk als Kennmarke verwandt wird.“

 

Problematisch ist Paul Linckes Rolle in der NS-Zeit. Wenn auch wohl kein vollends überzeugter, bekennender Nationalsozialist ließ er sich doch gerne von den neuen Machthabern als einer der wenigen verbliebenen Operettenkomponisten nicht jüdischer Herkunft hofieren. Wie weit Linckes Verstrickungen mit den Nationalsozialisten gehen, darüber ist die Musikgeschichtsschreibung geteilter Meinung, dass Lincke sicherlich vom neuen Regime profitierte und sich über die Ehrungen, die ihm zuteilwurden, erfreut zeigte, kann nicht bestritten werden. Ein Artikel aus Der neue Tag über die „Paul-Lincke-Ehrung“ am 7. November 1936 (S. 2) anlässlich seines 70. Geburtstages ist aufschlussreich: „Die Kameradschaft der deutschen Künstler und der Berufsstand der deutschen Komponisten veranstalteten heute mittag in den Räumen der KDOK einen Festakt zu Ehren des 70jährigen Paul Lincke […].  So haben wir die Ehrung durch die Reichsregierung in die persönlichste Form gekleidet, um zu zeigen, wie persönlich und herzlich das Verhältnis dieses volkstümlichsten Künstlers zur Reichsregierung ist. […] Staatssekretär Funk […] überreichte am Schluß seiner Ansprache Paul Lincke ein in Silber gerahmtes Bild des Führers und Reichskanzlers mit einer herzlichen Widmung sowie ein Bild des Reichsministers Dr. Goebbels mit folgender Inschrift: „Herrn Paul Lincke, dem Mann, der Berlin musikalisch entdeckte, und seinen Ruhm und Ruf mit unsterblichen Melodien durch die ganze Welt trug, zu einem 70. Geburtstag in Verehrung und Dankbarkeit.“ […] Nachdem Paul Lincke seinen Dank für die großen Ehrungen in bewegten Worten zu Ausdruck gebracht hatte, sang Fritz Düttbern ein dem Führer gewidmetes Lied von Paul Lincke des bei dieser festlichen Gelegenheit seine Uraufführung erlebte.“

 

Ein Artikel in der Zeitung Verbo vom 10. Mai 1938 (S. 2) wird der Besuch eines „Kraft durch Freude“-Konzertes mit Werken von Paul Lincke, das der Komponist selbst dirigierte, geschildert und auch Lincke zitiert: „‚Mit all meiner Musik‘, so beginnt Paul Lincke zu erzählen, ‚wollte ich der Aufheiterung der Menschen, ihrer Lebensfreude dienen. Wer aber braucht am ehesten Lebensfreude und heitere Stunden? Der schaffende Mensch, der im schweren Lebenskampf steht und das größte Recht darauf hat, hin und wieder auch die heitere und ausgelassene Muse zu hören. Ich darf wohl sagen, daß ich schon immer gerade mit den Arbeitern gefühlt habe und Anteil an ihrem Leben hatte. Kraft durch Freude aber hat das alles wesentlich vertieft. Kraft durch Freude hat mir das herrlichste und liebste Publikum geschenkt, das ich mir nur wünschen kann. Wenn ich mich an meinem Dirigentenplatz umdrehe und sehe schon in den ersten Parkettreihen Gesichter, die von der Arbeit und von der Mühe des Lebens gezeichnet find, so ist das für mich die schönste Freude.‘“ Im gleichen Artikel wird auch deutlich, was den Nationalsozialisten an Paul Lincke gefiel: „Paul Lincke hat sich in der deutschen Operette ein Denkmal gesetzt. Er hat die ‚kleine Oper‘ als Schwester des Schwanks zu hoher Blüte geführt. Seine Singspiele, aus deutschem Gemüt geboren, waren starke Abwehr gegen die typisch jüdischen und verjazzten Operetten einer überwundenen Zeit. Die ‚Berliner Luft‘ Paul Linckes bekommt den deutschen Menschen, ihrem Stilgefühl und ihrem Sinn für leichte Unterhaltung besser, als die Niggersongs afrikanischer Hottentottenkrale."

 

Paul Lincke starb 1946 in Hahnenklee-Bockswiese, wo er auf die Zuzugsgenehmigung der Alliierten wartete, die man damals auch als gebürtiger Berliner benötigte. Er hatte sich seit 1943 im Ausland befunden und das Kriegsende fern von seiner Heimatstadt erlebt.

 

Der Marsch „Im Olympische Dorf“ erschien 1936 in Linckes eigenem Berliner Verlag, dem Apollo-Verlag. Es ist anzunehmen, dass Lincke den Marsch extra für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin komponiert hat, welche Nazi-Deutschland propagandistisch nutzte, um sich der Welt von einer positiven Seite zu präsentieren. Im Rahmen dieser Spiele wurde auch das „Olympische Dorf“ im brandenburgischen Elstal gebaut, in dem der Großteil der männlichen Olympiateilnehmer untergebracht war.