Maria Buol

„Nicht Schriftstellerin und Mensch in Schichtwechsel, sie war immer Mensch und Schriftstellerin in lebendigster Verbindung“

„Am 21. August 1861 in Innsbruck als Tochter des Generalreferenten von Tirol, Franz Freiherrn von Buol zu Behrenberg und Mühlingen, geboren, kam sie früh schon nach Südtirol, ins wein- und burgenreiche Überetsch, nach Kaltern am Fuß der Mendel, wo ihr Vater kurz vor seinem vorzeitigen Tode einen der vielen kleinen, malerischen Landedelsitze erworben hatte.“ (Die Furche, 24. Mai 1947, Seite 13) So beschreibt Maria Veronika Rubatscher im Nachruf zu Maria Buol die Herkunft der Schriftstellerin. Buol bleibt in Kaltern und schöpft aus der Südtiroler bäuerlichen Kultur die Themen für ihre literarischen Texte.

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Als Adelige begibt sich Buol hinein in den Alltag der bäuerlichen Gesellschaft und beschreibt das so genannte „Volksleben“ in zahlreichen Werken. Die ebenfalls katholisch geprägte Schriftstellerkollegin Maria Veronika Rubatscher (1900–1987) fasst in ihrem Nachruf Buols literarisches Schaffen zusammen. Rubatscher betont den eigenständigen Tonfall der „Volksdichterin“ und grenzt Buols Werke gegen andere Autor:innen der Zeit ab. Somit gibt der Text nicht nur einen Überblick zum reichhaltigen Schaffen der Südtiroler Schriftstellerin, sondern ordnet ihr Werk auch in den Kanon der Tiroler Literatur von ca. 1900 bis 1950 ein: 

 

„Aus Liebe zu ihrem Volke trat das Kalterer Schloßfräulein aus seiner feudalen Verborgenheit hervor. Es stieg von dem hohen Roß versgebundener Dichtung, setzte sich zu dem gemeinen Mann im Herrgottswinkel und wurde zur Volksdichterin, zur Schriftstellerin, die ‚unter dem Striche‘ stand. Über dem Strich durchtobte die Zeitungen Tag für Tag der Hader der Parteien, allen zum Leide. Unter dem Strich, allen zur Freude, erzählte nun Maria Buol, wie sie sich bescheiden nannte, ihre schönen Geschichten: Der Mutter Geheimnis — Das Marterle— Die Stiefkinder— Ein gutes Wort— Das Findelkind— Gillis Hobelspäne— Nandls Sparkassenbuch— Christophorus— Das Weib des Verschollenen— Die Kirchfahrerin— Die Gamswirtin, um aus vielen nur ein paar der längsten und schönsten, in Buchform auch weit über Tirol hinaus bekannt gewordenen zu nennen. Sturm und Sonnenschein, Liebe, Leid und Freude, das ganze, nun zerrissene Land, Norden und Süden, Täler, Berge und Menschen, wie es der Herrgott erschaffen, Natur, Kunst und Geschichte, das mannigfaltige Leben gebildet hat, ist in diesen Büchern, die zum Besten gehören, was die deutsche Sprache an volkstümlichem Schrifttum hat. Über allem leuchtet und wärmt eine kerngesunde Fröhlichkeit, Gläubigkeit und barmherzige Liebe, die sich voll verstehender Mütterlichkeit zu den Armen und Kleinen, den Verstoßenen und Vergessenen, den Mißhandelten und Heimatlosen niederneigt. Alles ist so schlicht und einfach erzählt, wie man ein Stück Schwarzbrot ißt, und dabei so sicher und kraftvoll, mit demselben großartigen, wohl berechneten Schwung, wie der Bauer das Korn über die Scholle der Väter hin sät. Ein jedes Kind versteht es und nur der Kenner und Könner merkt, wieviel Meisterschaft dahinter steckt. Einst vielgelesene Modeliteratur, die Voß, Greinz und Thelemann, haben von den Tirolern ein erbärmliches Zerrbild gezeichnet. In den Büchern der Buol lebt Tirol, ihr Tirol, mit seinen Tugenden und Schwächen. Bis in seine heimlichsten Herzwinkel hinein hat sie es belauscht. Sie ist ihm nachgegangen, zu Fuß und bescheiden, ohne Gepäck und Gepränge, wie die Vögel und die Sendboten Gottes wandern. So hat sie das Land und jede einzelne Landschaft erst eingehend kennengelernt, ehe sie daranging, sie liebevoll zu schildern und die Menschen in die Geschehnisse ihrer Geschichten hineinzubauen. Arm und arbeitsam wie das Volk, wie die Menschen ihrer Bücher, hat sie selbst gelebt, hat wie sie und mitten unter ihnen auf ihren Gütern gearbeitet, im Weinberg und auf den Äckern, im spätherbstlichen Tennen. Sie war— wie von ihr gesagt wurde, — ‚nicht Schriftstellerin und Mensch in Schichtwechsel, sie war immer Mensch und Schriftstellerin in lebendigster Verbindung. Sie schrieb im eigensten Erleben aus dem Leben und für das Leben‘.“

 

Die Furche, 24. Mai 1947, Seite 13