Bau der Mittenwaldbahn

... und andere Pionierleistungen im Zuge der Industrialisierung des Alpenlands - Ing. Dr. Josef Riehl

Liest man im Februar 1917 in den Tiroler Zeitungen, so fällt einem ins Auge, dass zum Teil über mehrere Seiten und Spalten über den Verlust des großen Ingenieurs und „Eisenbahnvaters Tirols“ Ing. Dr. Josef Riehl berichtet wird. Die Innsbrucker Nachrichten vom 20. Februar 1917 reagieren unmittelbar und stellen in einem mehrseitigen Artikel die scheinbar ungekürzte Rede des damaligen Innsbrucker Bürgermeisters Wilhelm Greil der eigenen Berichterstattung voran. Josef Riehl war Teil des Innsbrucker Gemeinderats und so wird die Rede in großer Ehrfurcht auch der Leserschaft der Innsbrucker Nachrichten präsentiert: „Tief trauernd steht der Gemeinderat an der Bahre dieses edlen Mannes, dem er so unendlich viel verdankt. Die Förderung der Interessen der Stadt Innsbruck in erster Linie und die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung Tirols im weiteren Sinne waren die Motive seiner weitausgreifenden Tätigkeit. Schon Ende der Neunzigerjahre verlegte Riehl den Sitz seiner Bauunternehmung nach Innsbruck, nachdem er vorher schon sich durch eine Reihe von Straßenbauten und Fluß- und Wildbachregulierungen im Lande Tirol einen Namen und großes Ansehen erworben hatte. Er kam gerade zur rechten Zeit.“

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So fasst Greil am Ende seiner Rede das Lebenswerk Riehls bezeichnender Weise zusammen: „Alles, was in den letzten 20 Jahren an größeren Straßen, Bahnen, Wasserwerken usw. gebaut wurde, trägt die Stampiglie Riehl.“ Und in der Tat scheint der Lebensweg dieses umtriebigen Mannes deutliche Spuren in der Tiroler Landschaft sowie im Wirtschaftsleben und in der erweiterten Industrialisierung des Berglandes hinterlassen zu haben. Dass die Beschaffenheit der Tiroler und Vorarlberger Geografie mit zahlreichen Bergmassiven nicht gerade für die verkehrstechnische Erschließung und die Errichtung von Kraftwerken zur Stromerzeugung im Sinne einer modernen Infrastruktur, wie wir sie heute kennen, prädestiniert ist und als solches die Anstrengungen auf diesem Gebiet im doppelten Sinn erschweren, macht ein Kommentar in den Innsbrucker Nachrichten mit der Überschrift „Aus dem Lebensbuche Riehls“ deutlich: „Durch Riehls Wirken als entwerfender und ausführender Ingenieur gewannen die Länder Tirol und Vorarlberg in den letzten zwei Dezenten allein über 53.000 PS in ausgebauten Wasserkraftzentralen und mehr als 200 Kilometer Bahnen. Diese Leistungen wurden in Berglanden erzielt, in denen schon die Bodenbeschaffenheit, die bis vor kurzem geringe wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder und das durch alle diese Umstände bewirkte konservative Moment, die Schwierigkeiten für jedes Unternehmen höher türmen und deren Überwindung schwerer und mühevoller als anderswo gestalten.“

 

Die Volkszeitung vom 21. Februar 1917 kommentiert den Tod von Josef Riehl mit eher bissigen Worten in Richtung der konservativ-liberalen Tiroler Kreise. Die Berichterstattung ist hier nicht annähernd so huldvoll und staatstragend wie im gemäßigt konservativen Medium Innsbrucker Nachrichten. Der Seitenhieb in Richtung der bestimmenden politischen Kreise liest sich so: „Tirol ist nicht reich an Talenten und noch ärmer an unternehmungslustigen Männern, die den festen Willen haben, mit den zahllosen Widerwärtigkeiten den Kampf aufzunehmen, die seiner wirtschaftlichen Entwicklung, vor allem der Industrialisierung durch die Ausnützung seiner natürlichen Schätze, der Wasserkräfte bereitet werden. Dr. Josef Riehl hat diesen Kampf nicht gescheut. Emsig wirkte er, auf seinem Tätigkeitsgebiet ein Pionier, für die Belebung und Entwicklung unseres Landes. Die Erfolge waren bedeutend, aber unter günstigeren Umständen hätte der tatkräftige, schöpferische Mann an seinem Lebensabend auf viel größere Ergebnisse zurückblicken können.“ Dieser Kommentar ist umso erstaunlicher als Riehl große Verdienste und eine nahezu ungebrochene Erfolgsgeschichte vorzuweisen hat. 

 

Einzig der relativ unstete Wechsel zwischen Straßen- und Eisenbahnbau hin zur Steinindustrie und der Erbauung zahlreicher Wasserkraftwerke bis zur Rückkehr zu großen Eisenbahnprojekten und schließlich seinem „Lebensprojekt“, der Erbauung der Mittenwaldbahn, ist auffällig in Riehls Biographie. Die Volkszeitung vom 21. Februar 1917 beschreibt seinen frühen Lebensweg mit knappen Worten: „Josef Riehl, der im Jahre 1842 in Bozen als Sohn einer dort aus Straßburg i. E. eingewanderten Familie geboren wurde, arbeitete nach Absolvierung seiner technischen Studien zuerst in Ungarn und übersiedelte im Jahre 1873 wieder nach Tirol, wo er als erste Arbeit die Ausführung der Teilstrecke Wörgl—Brixen der Giselabahn übernahm. Später wendete er sich der Steinindustrie zu.“ Ergänzend lesen sich die die Innsbrucker Nachrichten vom 20. Februar 1917: „Die Erschließung eines großen Teiles der noch heute bestehenden und inzwischen in andere Hände übergegangenen Steinbrüche ist Ing. Riehl zu danken. So eröffnete Riehl die Sterzinger Marmorwerke, denen sich später die Laaser Werke zugesellten, dann die Porphyrbrüche in Kastelruth, die Marmorbrüche in Mori und viele andere. Allein auch Riehl gelang es nicht, den einst zu Zeiten der Fugger und Welser reichlich sprudelnden Bergsegen Tirols neu zu wecken und so waren die finanziellen Ergebnisse dieser Tätigkeit sehr geringe.“

 

Unter dem Titel „Von Fachkollegen des Verstorbenen“ beschreiben die Innsbrucker Nachrichten u. a. die Tätigkeit Riehls im Jahr 1882, das mit Überflutungen einen tiefen Einschnitt im Tiroler Projekt der fortschreitenden Industrialisierung der Alpenlandschaft hinterlassen hat. Vor allem in den südlichen Landesteilen kam es zu Überflutungen, die die Regulierung der Flüsse notwendig machten. Josef Riehl nahm die Regulierung von Drau, Rienz und Eisack vor und erkannte auch früh das Potential der Wasserkraft für die Stromgewinnung. Als einer der ersten im Raum Tirol machte sich der Ingenieur mit den technischen Herausforderungen auf diesem Gebiet vertraut. „[…] noch zu einer Zeit, als der Ingenieur sich vielfach selbst die wissenschaftlichen Unterlagen für die Ausbildung und Projektierung großer Kraftwerke schaffen mußte.“

 

Als Kommentar zum Thema Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien – aus heutiger Perspektive gesehen – lesen sich die zeitgenössischen Berichte zum fehlenden Kohlevorkommen in Tirol und Vorarlberg, das Riehl visionär durch die energiebringende Wasserkraft zu kompensieren wusste. Die Innsbrucker Nachrichten vom 20. Februar 1917 schreiben: „Tirol teilt das Schicksal der Schweiz, es ist arm an schwarzer Kohle; Ersatz hiefür bietet aber reichlich die weiße Kühle, die noch vielfach ungenützt zu Tale fließt.“ Auch hier wird wieder betont, wie sehr sich Josef Riehl um die Ausnützung der Wasserkraft bemühte und wie sehr seine Anstrengungen bald Früchte trugen. So sei zum Tod von Josef Riehl im Jahr 1917 „bereits ein respektables Netz von Kraftanlagen über das Land Tirol verbreitet, in denen kräftiges wirtschaftliches Leben pulsiert.“

 

Auch Wilhelm Greil beschreibt in seiner Rede die Errichtung der Kraftwerke, hier mit dem Schwerpunkt dieser zentralen Infrastruktur in Hinblick auf die Landeshauptstadt Innsbruck: „Wir verdanken Riehl auch weiters die Projektierung und Ausführung des Sillwerkes, eines der allergrößten und bedeutendsten Wasserwerke Oesterreichs. Riehl war einer der ersten Techniker, welcher die Wichtigkeit der Erhaltung der elektrischen Werke mit Wasserkraft erkannte und viele derartige Anlagen ausführte. Ebenso wurde das Kraftwerk für die Mittenwalderbahn, das sogenannte Ruetzwerk von der Firma Riehl erstellt, wobei zu bemerken ist, daß durch eine besonders sinnreiche Konstruktion Riehls diese beiden Werke miteinander in Verbindung gebracht wurden, so daß sie sich gegenseitig ergänzen können.“

 

Sieht man von der Errichtung der Wasserkraftwerke ab, die bis heute uneingeschränkt Bedeutung haben, ist in den ausgewerteten Berichten zum Tod von Josef Riehl der Fokus auf die Errichtung der Mittenwaldbahn augenfällig. Umgekehrt macht die Aufzählung in der Volkszeitung vom 21. Februar 1917 von Riehls Projekten im Bereich der Lokal- und Stadtbahnen deutlich, wie auch unabhängig vom internationalen Vorzeigeprojekt der Mittenwaldbahn die Umtriebigkeit und Umsetzungsstärke Riehls das Leben in Tirol bis heute prägen. Neben der technischen Umsetzung wie der Trassierung, Projektleitung und baulichen Ausführung vermittelte Riehl vielfach auch die Finanzierung folgender Vorhaben: „Es sind dies die Bergbahn von Innsbruck auf das südliche Mittelgebirge nach Igls, ihr folgt die Teilstrecke Zell—Mayrhofen der Zillertalbahn, die normalspurige Bahn Pfronten—Reutte, die elektrische Adhäsionsbahn von Innsbruck ins Stubaital nach Fulpmes, die elektrischen Innsbrucker Stadtbahnen, die normalspurige elektrische Montafonerbahn Bludenz—Schruns, die Seilbahn von Innsbruck auf das Hungerburg-Plateau, die Zahnradbahn von Bozen auf den Ritten, die normalspurige Bahnlinie Bruneck—Sand.“ 

 

Mit großem Enthusiasmus berichtet Wilhelm Greil in seiner Rede im Februar 1917 von der Planung der Mittenwaldbahn. Greil fasst die Anstrengungen auf technischer, finanzieller und politischer Ebene zusammen und erwähnt, dass der Innsbrucker Gemeinderat bereits in den 1880er Jahren eine Petition an das Ministerium in Wien richtete, um den Bau der Mittenwalder- bzw. Karwendelbahn zu erwirken. Wieder wird betont, dass Josef Riehl ein hohes Risiko einging und die Projektierung mit Auslagen von „Hunderttausende von Kronen“ selbst vorfinanzierte. Erst nach zahlreichen Besprechungen im Eisenbahnministerium und „nach namenlosen Anstrengungen und sehr großen Opfern“ bekam man im Jahr 1907 die Zusage für das Projekt.

 

Greil erwähnt, dass sich relativ bald nach Fertigstellung der Bahnstrecke ein nicht unbedingt erwarteter finanzieller Erfolg einstellte. Auch dies ist ein Thema, das sich durch das Leben von Josef Riehl zieht. Finanzielles Risiko wird nicht gescheut. Auch wenn nicht alle Unternehmungen den großen finanziellen Segen bringen und einige Projekte – wie die Wiederbelebung der Tiroler Steinindustrie – unter den Erwartungen bleiben, so ist im Fall der Mittenwaldbahn die Rechnung aufgegangen. Noch einmal wird Wilhelm Greil zitiert, der sich einen spitzen Kommentar in Richtung Bayern nicht verbietet: „Diese Bahn erzielte trotz widriger Verhältnisse und trotz geringer Förderung, welche derselben von bayerischer Seite zuteil wurde, im zweiten Jahre des Betriebes ein derart glänzendes finanzielles Resultat, daß nicht nur die Betriebskosten, sondern auch die Prioritätszinsen aus den Betriebseinnahmen hatten bezahlt werden können. Der Gemeinderat hatte sich demnach nicht getäuscht, wenn er der Mittenwalderbahn eine große Bedeutung im wirtschaftlichen Aufschwunge der Stadt zuteilte.“

 

Wilhelm Greil fasst in seiner Rede entsprechend den übergroßen Wagemut von Josef Riehl zusammen: „Eine Zähigkeit und Ausdauer konnte Riehl entwickeln, welche zum Staunen war.“ Die Oberländer Wochenpost vom 23. Februar 1917 ergänzt, dass Riehl nicht alleine für die zahlreichen Projekte Verantwortung trug: „[…]; sein Ingenieurbureau umfaßte einen Stab tüchtiger Mitarbeiter, an deren Spitze Chefingenieur Karl Innerebner steht, und mit dem es ihm glückte, ein so großes Lebenswerk zu schaffen.“ Mit den Eigenschaften der Uneigennützigkeit, der Wohltätigkeit und der Großzügigkeit galt Riehl auch charakterlich als vorbildlich. Eine Tatsache, welche die Unternehmungen Riehls auch menschlich in ein positives Licht rücken. Abschließend dazu in der Rede von Wilhelm Greil: „Er war aber auch ein großer Patriot, der für Innsbruck und sein Vaterland Tirol Hervorragendes geleistet hat. Er war ein Mann der Tat. Für die wirtschaftliche Hebung des Landes, sowie für die Hebung des Fremdenverkehres dürfte kein Mann in Tirol sein, der nur annähernd so Großes geleistet hat, wie Riehl. Riehl war aber außerdem ein seelenguter Mensch, entgegenkommend und liebenswürdig gegen jedermann und außerordentlich wohltätig, auch in der Wohltätigkeit ebenso großzügig, wie in seinen anderen Unternehmungen.“